Und sie leben glücklich bis an ihr Lebensende..? Prognosen für Verhaltentherapie Teil 1

  • Bettina Alfaro
  • 07.12.2021
  • Verhaltentherapie



Wenn Hundehalter mit einem speziellen Problem zu mir kommen, oft noch vor dem ersten persönlichen Treffen mit umfassender Anamnese und der Möglichkeit Hund und Halter zu beobachten, kommt sehr schnell die Frage nach der Prognose für besagtes problematisches Verhalten auf. Selbst wenn dies während des ersten Kennenlernens und nicht nach 5 Minuten Telefonat passiert, kann man darauf in der Regel keine genaue Antwort geben. In diesem ersten Teil beleuchte ich ein paar allgemeine Faktoren, im zweiten Teil gehe ich nochmal speziell auf Aggressionsfälle ein, da diese naturgemäß besonders häufig in der Verhaltenstherapie auftauchen.


Was muss ich als Hundehalter also bedenken, wenn ich ein Problem mit dem Verhalten meines Hundes habe?

Jeder Hundetrainer, der im Marktschreierischem Stil à là "Aggressionsfreie Hundebegegnung in drei Wochen" daher kommt, hat sich damit eigentlich schon als unseriös enttarnt. Dazu spielen einfach zu viele Elemente in eine mögliche Prognose hinein. Zunächst einmal, es hat rein gar nichts mit dem Kenntnisstand des Trainers/Verhaltensberaters zu tun - weswegen solche Aussagen auch als Werbebotschaft keinen Sinn machen. Ein bisschen wie bei einer medizinischen Prognose: eine Infektion der oberen Atemwege hat schlicht und ergreifend eine bessere Prognose als Lungenkrebs, und das hat rein gar nichts mit der Fertigkeit und Erfahrung des behandelnden Arztes zu tun. 

Und da müssen wir Verhaltenstherapeuten einfach mal ehrlich sein: Manche problematischen Verhalten sind grundsätzlich einfach zu lösen... andere weniger.


Die Prognose für eine Verhaltenstherapie hängt von vielen Faktoren ab, viele davon liegen nicht in unserem Einflussbereich!

Ein paar Beispiele:

  • Der Hund der sich gegenüber Menschen aggressiv zeigt und sich Besuchern gegenüber freundlich verhalten soll
  • Der Hund der jeden Artgenossen aggressiv anbellt, aber ohne Leine mit fremden Hunden laufen soll
  • der Hund, der nicht alleine bleiben kann, dessen Halter jetzt aber 8 Stunden arbeiten gehen muss

Diese Erwartungen können völlig verfehlt sein... oder auch machbar, je nachdem.


Allgemeine Faktoren

Wie lange besteht das problematische Verhalten schon? Logischerweise hat die Bearbeitung eines seit Jahren auftretenden Verhaltens eine schlechtere Prognose als etwas, was erst seit ein paar Wochen oder Monaten besteht. Wie sieht es mit einer Belohnungshistorie aus? Ja, auch wenn der Hundehalter das Verhalten nicht im klassischen Sinne "belohnt" hat muss ja irgendein Faktor in der Umwelt oder im Verhalten des Umfeldes dazu beitragen, dass es weiter gezeigt wird. Lassen sich diese "abstellen"?

Neurobiologie spielt ebenfalls eine Rolle: Verhaltensabläufe, die wieder und wieder praktiziert werden können vom Gehirn schneller abgerufen werden - das nutzen wir ja auch zu unserem Vorteil, wenn wir etwas "üben" damit es flüssiger - also besser abrufbar wird. Man muss nicht mehr darüber nachdenken und sich nicht mehr so sehr konzentrieren.

Beispiel: Ein erwachsener Hund, der seit Jahren pinkelt wo er geht und steht versus ein Junghund, der im Alter von 6 Monaten plötzlich wieder ins Haus macht. Oder ein erwachsener Hund, der noch nie wirklich gut alleine bleiben konnte im Vergleich zu einem Hund, der zwar kurze Abwesenheiten seines Halters weggesteckt hat, der sich aufgrund veränderter Arbeitsgewohnheiten jetzt länger allein sein muss.  

Wie ausgeprägt ist das Verhalten? Wenn ein Hund Trennungsangst hat: vokalisiert er kurz und kommt dann zur Ruhe oder verletzt er sich selber, versucht sich durch die Haustür zu fressen und verursacht Schäden in Höhe von mehreren Tausend Euro? Oder bei Aggressionen von im gleichen Haushalt lebenden Hunden: wird gelegentlich mal geknurrt oder geschnappt und großes Getöse gezeigt, oder musste der Halter bereits mehrfach zum Tierarzt um einen oder mehrere Hunde nach einer Auseinandersetzung medizinisch behandeln zu lassen? Bei Ressourcenverteidigung macht es offensichtlich einen Unterschied ob mein Hund mich mal anknurrt wenn ich ihm etwas wegnehmen will oder ob er aus dem Nichts geschossen kommt und mich beisst, weil er irgendwelche Haushaltsartikel verteidigt, von denen ich nicht mal voraussehen kann welche potenziell interessant für ihn sind. 

Gelerntes Verhalten oder genetisch vorgegebenes Verhalten spielt eine Rolle. Das ist eine alte Diskussion, die auch nie ganz geklärt werden kann. Erschwerend dazu kommt, dass wir bei manchen Hunden die Vorgeschichte und/oder die Rassezugehörigkeit gar nicht kennen. Nicht jeder schwarze Hund mit Schlappohren aus dem Tierschutz ist ein Labrador (eigentlich die wenigsten...). Und die Vorgeschichte eines Hundes aus dem Tierheim ist nicht unbedingt bekannt. Nichtsdestotrotz; ganz allgemein gesehen sind gelernte Verhalten leichter auch wieder zu verlernen als genetisch vorgegeben Verhaltensmuster. Ein genetisch ängstlicher Welpe wird eher abweisendes Verhalten zeigen als ein generell freundlicher Welpe nach einer schlechten Erfahrung.


Gerne vergessen wird eine ganz wichtige Komponente: der Hundehalter!

Kann und will der Hundehalter dem Therapieplan folgen? Das ist keine Schuldzuweisung! Sehr oft ist es für das Gelingen einer Therapie wichtig, das der Hund der problematischen Situation nicht ausgesetzt wird, da er sonst das unerwünschte Verhalten ja ständig weiter üben kann (siehe oben). Aber kann die Familie mit drei Kindern realistisch dafür sorgen, dass der Hund die nächsten 6 Wochen keine Kinderkontakte hat? Kann die alleinstehende Studentin das Leben ihres Hundes so organisieren, dass er nicht alleine ist, auch wenn sie täglich mehrere Stunden für Vorlesungen aus dem Haus muss? 

Hat der Halter die nötigen Kenntnisse und Fertigkeiten? Wenn eine Therapie punktgenaues Belohnen eines Alternativverhalten erfordert; erkennt der Halter dieses überhaupt? Hat er die Fertigkeit schnell zu loben und zu belohnen? Schafft er es körperlich, seinen Hund festzuhalten oder hoch zu heben, falls erforderlich? Hat er die nötigen Kenntnisse über Hunde im Allgemeinen und Lernverhalten im Besonderen, weiß er welches Verhalten in der Norm liegt, und ab wann auch der Experte vom problematischem Verhalten reden würde?

Und nicht zuletzt; hat der Hundehalter die nötige Zeit und eventuell auch die nötigen finanziellen Ressourcen, um sich dem Problem anzunehmen? Die alleinstehende Mutter mit zwei Jobs und drei Kindern, die zu außerschulischen Aktivitäten gefahren werden wollen kann vielleicht nicht jeden Tag mehrfach kleine Trainingseinheiten einbauen - und vielleicht wollte sie auch sowieso nur einen Hund, mit dem sie in der wenigen freien Zeit ihren Gedanken nachhängend eine Runde spazieren gehen kann. Ja, auch Erwartungen an den Hund spielen eine Rolle! 

Und je mehr fachliche Hilfe benötigt wird, desto teurer wird eine Therapie logischerweise auch. Gerade hier schlägt oft der Widerspruch des "günstigen" Hundes aus dem Auslandstierschutz zu, der am Ende viel teurer als der Welpe vom Züchter ist, weil er schlicht und einfach Expertenhilfe und -anleitung benötigt, um ein halbwegs normales Leben führen zu können. 

Psychologischer Druck der Umwelt sei hier nur am Rande erwähnt, ist aber auch ein Faktor. Halte ich das Gefühl aus, als Hundehalter "versagt" zu haben - oder mein Umwelt, die mir dies einreden will (das der Hundehalter in vielen Fällen gar nicht ursächlich ist dürfte sich aus den vorstehenden Abschnitten erschlossen haben). 

Wenn du also eine Verhaltenstherapie mit deinem Hund in Erwägung ziehst, dann sind die vorstehenden Punkte vielleicht schon mal hilfreich, wenn es um die Frage nach Erfolg oder Misserfolg oder der Dauer einer Behandlung geht. Und manchmal auch, ob eine Therapie überhaupt Sinn macht. Eventuell bleibt es dann eben bei Managementlösung - auch bei der kann der Verhaltenstherapeut natürlich helfen. Und manchmal muss man sich eben auch die schwierige Frage stellen, ob der Hund nicht woanders glücklicher wäre, bzw. ihm jemand anders besser helfen könnte - und auch das ist OK (und kein Aufruf, bei jedem Auftreten eines Problems die Flinte ins Korn zu werfen, aber eben der Aufruf zu prüfen, wie realistisch die Erwartungen auf diesen speziellen Hund in diesem speziellen Umfeld sind)!


Du möchtest einen Termin machen, um zu sehen wie wir dir und deinem Hund helfen können? Hier kommst du zur Kontaktanfrage. Ich freue mich darauf euch kennenzulernen.


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