Kulturschock - Integration von Hunden aus dem Auslandstierschutz
- Bettina Alfaro
- 10.12.2021
- Verhaltentherapie
In meiner Verhaltenstherapie begegne ich vielen Hunden aus dem Auslandstierschutz. Und obwohl Auslandstierschutz nicht gleich Auslandstierschutz ist, zeigen sich doch einige Parallelen. Natürlich spielt es eine Rolle, aus welchem Land der Hund zu uns kommt, wie alt er ist und welche Vorerfahrungen er schon gesammelt hat. Ein erwachsener rumänischer Strassenhund hat andere Erfahrungen als ein vier Monate alter Junghund aus einer spanischen Tötungsstation oder eine griechischer Strandhund. Den meisten ist aber eins gemeinsam - sie erleiden zunächst mal einen Kulturschock und sind den an sie gestellten Erwartungen als Familienhund nicht gewachsen.
Die soll kein Artikel über den Sinn oder Unsinn von importierten Hunden sein, sondern Hundehaltern dabei helfen, ihr neues Familienmitglied zu verstehen und ihre Erwartungen entsprechend anzupassen. Dabei geht es um echte Strassenhunde, also nicht der reinrassige Cocker Spaniel, der aus welchen Gründen auch immer im Tierheim gelandet ist, sondern in der Freiheit geborene und aufgewachsene Hunde, die bis zu ihrer "Rettung" ein selbstbestimmtes Leben geführt haben. Aber eben auch keine Wolfsrudel, die ja immer noch gerne zu Vergleichen mit Haushunden heran gezogen werden, obwohl es mittlerweile reichlich Studien an echten Strassen- und Haushunden gibt.
Schauen wir uns doch zunächst mal das typische Leben eines frei laufenden Hundes in vielen südlichen Ländern oder dem ehemaligen Ostblock an.
Das Leben eines Strassenhundes
Hunde sind soziale Tiere, daher sieht man sie meist in Paaren oder kleinen Gruppen umherziehen. Dabei können sie sich lösen wann und wo sie wollen. Niemand gibt die Zeiten vor, und niemand kontrolliert an welchem Busch ein Bein gehoben wird. Dazu gehört auch das ausgiebige Schnuppern an den Hinterlassenschaften von Artgenossen - so sammeln sie Informationen über Alter, Gesundheit, hormonellen Status und vieles mehr. So wie wir täglich die Zeitung lesen oder Facebook und Instagram checken und kommentieren.
Natürlich steht es ihnen dabei frei, Kontakt zu den Hunden aufzunehmen, die ihnen sympathisch sind oder eben einen Bogen um solche zu machen, die ihnen unheimlich sind oder die ihnen vielleicht schon mal einen Sexualpartner oder eine Nahrungsquelle abspenstig gemacht haben. Es ist ja genug Platz da.
Gemeinsame Unternehmungen mit der Gruppe können ganz unterschiedlich aussehen; in Ländern, wo die Hunde nicht permanent um ihr Überleben kämpfen wird zusammen geschnuppert, markiert und auch mal gespielt, je strenger die Überlebensbedingungen, desto wichtiger wird das Auffinden und notfalls auch Verteidigen von Ressourcen (nicht unwichtigem Hinblick auf die Erwartungen an einen zukünftigen Familienhund!).
Bei ihren Erkundungsgängen steht es jedem Hund frei so lange und ausgiebig zu schnüffeln und interessante Objekte zu untersuchen, wie er möchte. Wenn er den Anschluß verliert, holt er wieder auf, ein Hundepaar läuft nicht notwendigerweise im Gleichschritt daher.
Überhaupt sehen solche Erkundungsgänge nicht aus wie ein Spaziergang bei uns: Hunde laufen nicht auf einer geraden Linie in gleichmäßigem Tempo, sie laufen Zickzack, gehen auch mal ein Stück zurück wenn sie einen interessanten Geruch überlaufen haben und ändern das Tempo. Wobei das Tempo eines mittelgroßen bis großen Hundes grundsätzlich deutlich flotter ist als das, was wir Menschen so an den Tag legen wenn wir spazieren gehen. Dabei benutzen sie nicht notwendigerweise Tore und Treppen, sondern nehmen auch mal die Abkürzung quer durch einen Garten, eine Mauer hoch oder runter oder schräg über die Strasse - nicht gerade den kürzesten Weg, so wie wie es als Kinder gelernt haben, um die Gefahren im Strassenverkehr zu vermindern.
Manche Hindernisse werden auch einfach umlaufen, und wenn einem Hund etwas unheimlich ist kann er sich auch einfach umdrehen und einen anderen Weg laufen - es git keine vorgegebenen Runden, auf denen er sich bewegen muss.
Freilaufende Hunde können aufnehmen was sie wollen, auch Sachen, die wir Menschen weniger appetitlich finden und von denen wir unserer Familienhunde weg ziehen würden. Nicht umsonst werden freilaufende Hunde in manchen Ländern als Müllkippenhunde bezeichnet, wenn sie dort ihre Nahrung finden und dort auf Erkundungstouren gehen.
Wenn sie nicht gestört werden, dösen Strassenhunde den Rest des Tages, jeder hat sicher schon tief schlafende Hunde auf voll besetzten Märkten im Ausland gesehen. Nichts scheint sie zu stören.
Ja klar, das Leben ist nicht immer so friedlich wie hier dargestellt, vielerorts gelten solche Hunde als Plage und werden verscheucht oder schlimmeres, aber auch diese Erfahrung geht dann mit in das Dasein eines solchen Hundes ein und macht das Leben auf engem Raum mit Menschen nicht gerade einfacher.
Und je nachdem wie das Einfangen und Aufbewahren bis zur Vermittlung gelaufen ist, lauert da noch einiges Potenzial für Traumata und unerwünschte Lernerfahrungen, aber das ist wieder ein anderes Thema. Gehen wir mal davon aus, wir hatten Glück und bekommen einen relativ jungen Hund, der keine wirklich schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht hat, nicht zu lange auf der Strasse gelebt hat und daher noch in der Lage ist sich an völlig neue Lebensumstände anzupassen.
Das Leben als Familienhund
Auch hier gibt es Variationen, aber ich denke wir sind und einig wie das Leben nach Ankunft in Deutschland ungefähr aussehen wird.
Auf jeden Fall lebt der Hund, der vielleicht noch nie drinnen war jetzt nicht mehr draussen, sondern bei uns im Haus oder sogar in einer Wohnung. Weil er da nicht überall rein machen soll gibt es feste Zeiten sich zu lösen, abhängig von unserem Tagesrhythmus. Oh ja, und vielleicht dem Fütterungsrhythmus, denn da gibt es jetzt auch feste Zeiten. Allerdings ist die Fütterung in 10 bis 30 Sekunden vorbei, denn länger braucht der durchschnittliche Hund nicht um seine Schüssel zu leeren, da braucht es auch keinen Beagle.
Bei den Spaziergängen muss sich der Hund unserem langsamen und meist gleichmäßigen Schritt anpassen. Wir wollen auch nicht an jeden Grashalm stehen bleiben, und an Nachbars Buchskugel darf er natürlich auch nicht pinkeln - das gibt Ärger! Und den gibt es sowieso schon, weil unser Hund es nicht gewohnt ist stundenlang allein zu sein, und deswegen laut seiner Angst Luft macht. Er denkt nämlich, wir haben ihn verlassen und er sieht uns nie wieder.
Zurück zu unserem gemütlichen Spaziergang. Ach nee, so gemütlich ist der gar nicht. Unser Hund findet passierende Hunde nämlich viel zu nah, unsere Strassen zu eng und wohlmeinende Menschen, die Kontakt aufnehmen wollen schlichtweg übergriffig. Und im Zickzack auf Erkundungstour gehen ist auch nicht, wir wollen ja nicht wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit angesprochen oder vom Auto überfahren werden.
Ihr seht sicher, worauf ich hinaus will - Kulturschock. Glücklicherweise sind Hunde erstaunlich anpassungsfähig und können sich auf neue Umstände meist einlassen. Wie können wir also dabei helfen?
Integrationshilfe
Erfreulicherweise machen sich immer mehr frisch gebackene Hundehalter direkt zu Anfang Gedanken darüber, wie sie ihrem neuen Familienmitglied den Einstieg erleichtern können, und nicht erst, wenn ein Problemverhalten schon gefestigt ist. Ich nenne es mal so, obwohl es natürlich keins ist; der Hund ist perfekt an seine bisherigen Lebensumstände angepasst, und diese Verhaltensmuster haben ihm dort gute Dienste geleistet - sonst wären sie nämlich nicht mehr da. Verhalten die sich nicht lohnen oder gar dem Wohlbefinden nicht zuträglich sind werden nämlich ganz schnell abgelegt - auf dem Prinzip basiert ja auch ein auf Strafen aufbauender Erziehungsansatz. Diese Verhalten funktionieren aber in der neuen Umgebung nicht mehr und werden vielleicht sogar zum Problem für den Menschen.
Statt also dem Hund möglichst schnell SITZ und PLATZ beizubringen (über den Sinn und Unsinn streiten wir jetzt mal nicht, anderes Thema...) könnte man dem Hund ja ein bisschen entgegen kommen. Integrationshilfe, sozusagen.
Die größter Erwartung ist ja immer, dass der Hund an der lockeren Leine gehen kann. Ja genau, der Hund, der bislang immer laufen konnte wie er wollte kann nicht im langsamen Gleichschritt an eine andere Spezies gebunden laufen. Schocker!! Wie wäre es denn für den Anfang irgendwo hin zu gehen/fahren, wo selbiger Hund die Möglichkeit hat sich frei zu bewegen. Mit (Sicherheits-) Geschirr an einer langen Leine, so dass diese Outings mehr etwas von einem Erkundungsgang mit schnüffeln und entdecken haben, als unsere "bei Fuss" Spaziergänge die Strasse entlang. Abgesehen davon, dass der Hund damit seine neue Umgebung besser kennenlernen kann (weil er eben mal stoppen, schnuppern, erkunden darf) kommt das der Fortbewegung näher, die der Hund bis dato kannte. Und erfüllt damit schon mal ein wichtiges Grundbedürfnis.
Obwohl der Trend mittlerweile zum Mehrhundehaushalt geht, ist das keineswegs selbstverständlich - für das soziale Wesen Hund wäre aber ein Hundefreund wichtig. Das heißt nicht, dass er alle und jeden lieben und in wildes Spiel fallen muss. Das kann auch ein netter, sozial kompetenter älterer Hund sein, der dem Neuankömmling auf Spaziergängen Sicherheit vermittelt. Und natürlich profitiert ein junger Hund von einem Spielpartner, mit dem er weiter an seinen sozialen Kompetenzen arbeiten kann. Wilde Spielgruppen mit vielen Teilnehmern sind da nicht unbedingt das Nonplusultra, oft sind scheue Auslandshunde da erst einmal überfordert. Das Argument "der war mit 600 anderen Hunden in einer Auffangstation, der mag andere Hunde" stimmt so nicht unbedingt. Eventuell hat er sich da ganz unauffällig verhalten, um zu überleben, und hat jetzt die Nase voll von Hundeaufläufen. Oder Nahrungssuche und Schutz vor Kälte oder Hitze waren wichtiger als ausgelassenes Spiel, und er hat das nie gelernt. Also lieber Qualität, statt Quantität.
Und so im Alltag - einfach mal machen lassen? Im einem geschützten Raum den Hund einfach mal Hund sein lassen? Sich im Dreck wälzen, nach einer Maus buddeln, eine leere Plastikflasche aufnehmen..? Entscheidungen über den eigenen Körper selber fällen dürfen? Also die Nähe zu anderen Lebewesen, ob man angefasst werden möchte, etc?
Statt das Futter (und was wir so als Futter empfinden ist für den ehemaligen Strassenhund ebenso Müll wie für uns die verschimmelte Pizzaecke, von der er sich bislang ernährt hat) in eine Schüssel zu werfen, wie wäre es damit, den Hund dafür arbeiten zu lassen? Gefüllte Kongs oder Wubbas, Futterbälle und anderes Aktivitätsspielzeug, die es dem Hund erlauben Hirn und Körper einzusetzen um an sein Futter zu gelangen - so wie er es gewohnt ist. Ein bisschen seiner überschüssigen Energie wird er dabei auch gleich los.
Damit wird der Übergang zum Leben als Familienhund schon mal um einiges leichter, und mit Zeit, Geduld und ein bisschen Training passt sich der Neuankömmling dann auch an sein neues Leben an.
Und natürlich gebe ich auch gerne auf euch abgestimmte Hilfestellung bei der Integration deines Neuankömmlings, wenn sich doch noch Verhalten abzeichnen, die mit unseren Vorstellungen von der Rolle als Familienhund nicht kompatibel sind oder wenn du einfach von Anfang an alles richtig machen willst. Am einfachsten erreichst du uns über das Kontaktformular.
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