Und sie leben glücklich bis an ihr Lebensende - Prognose bei Verhaltenstherapie Teil 2

  • Bettina Alfaro
  • 08.12.2021
  • Verhaltentherapie

Im ersten Teil dieses Artikels haben wir uns mit den allgemeinen Faktoren in Bezug auf Prognosen für den Erfolg von Verhaltentherapie beschäftigt. (Wer nochmal nachlesen möchte, hier geht's zum ersten Teil).

Aggression gegenüber Artgenossen oder Menschen machen einen großen Teil der Fälle im Bereich Verhaltenstherapie aus, immerhin führt ein als aggressiv wahrgenommener Hund auch schnell zu rechtlichen Konsequenzen. Aus diesem Grund ist die Prognose für Aggressionsfälle auch eng mit der Einschätzung des vorhandenen Risikos verbunden. Zusätzlich zu den bereits im ersten Teil genannten Faktoren gibt es hier noch einige zusätzliche Punkte zu bedenken:


Vorausschaubarkeit

Gibt es bestimmte Trigger, die das aggressive Verhalten auslösen? Also bestimmte Reize, die dazu führen, dass der Hund auslöst? Wenn dies so ist macht das den Erfolg wahrscheinlicher, wir wir diese entweder vermeiden, managen oder eben mit Verhaltenstherapie verändern können. Löst der Hund scheinbar ohne jeden Grund unvorhersehbar aus ist dies deutlich schwieriger. Für die Beurteilung ist meist aber tatsächlich bereits die Hilfe eines Experten notwendig; die Mehrheit der laut Hundehalter zufälligen Vorfälle sind für den Profi bereits lange vorher zu sehen. Hier ist ein Verständnis von Hundeverhalten und das Lesen von Körpersprache wichtig, viele Hundehalter haben sich damit aber noch nicht beschäftigt, daher kommen Angriffe für sie plötzlich und unerwartet. 

Das Lieblingsszenrio eines Verhaltenstherapeuten in Aggressionsfällen? Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Auslösern, so dass man nicht endlos viele Situationen bearbeiten muss. Der Trigger löst das Verhalten zuverlässig aus, der Hund rastet also jedes Mal beim Anblick aus. Klingt komisch, macht es aber leichter trainierbar. Im Gegenzug dazu zeigt der Hund niemals Aggression in einem anderen Kontext. Das heißt, er ist nicht gefährlich wenn ich die Auslöser vermeiden kann. 

Auch gerne gesehen: der Hund warnt bevor er beißt, er zeigt also an, dass er sich unwohl fühlt oder etwas verteidigen möchte oder was immer der Trigger ist. Ganz schlecht; wenn der Hundehalter seinen Hund für die Warnzeichen bereits bestraft hat ("Mein Hund hat mich nicht anzuknurren!"), so dass der Hund diesen Teil der Eskalationsleiter überspringt und gleich zum Angriff übergeht (der Trigger ist ja nach wie vor da, man hat also nicht gewonnen). 

Ein Hund der nicht der nur begrenzt warnt oder bei dem zwischen Warnung und Auslösen nur wenig Zeit vergeht ist logischerweise schlechter einschätzbar und damit gefährlicher als ein Hund der deutlich sichtbar warnt und auch erst mal abwartet, ob seiner Warnung Folge geleistet wird. 


Beißhemmung: Wenn der Hund zubeißt, wie schlimm ist es? Ein kurzes Touchieren des Ärmels oder Kontakt mit dem anderen Hund, oder ein mehrfaches, hartes Zupacken, wohlmöglich verbunden mit Schütteln und Reißen? Beim Menschen kann man das recht deutlich auf der Haut sehen; gibt es Blutergüsse oder offene Wunden oder gar gebrochene Knochen? Oder hat man nur Spucke am Arm? Meist werden zur Beurteilung die Eskalationstufen nach Ian Dunbar herangezogen. 

Die Beißhistorie ist meist ein guter Indikator für zukünftige Verletzungen; ein Hund der generell weicher zupackt wird das vermutlich auch in Zukunft tun - es sei denn er ist für den Vorfall bestraft worden und legt daher beim nächsten Mal noch eine Schüppe drauf. Das gilt leider nur für echte Bisse; nur weil der Hund dieses Mal nicht zugepackt sondern "nur" kurz gezwickt hat heißt das nicht, dass er beim nächsten Mal nicht fester zubeisst. Wenn es ein nächstes Mal gibt ist seine Warnung ja offensichtlich nicht angekommen, was dazu führen kann das er sein Verhalten eskalieren wird. Whin waren die Bisse gerichtet? Ein Hund der in die Flanke eines Artgenossen beisst hat vielleicht "nur" die Nerven verloren, während einer der gezielt auf Beine oder Hals geht ernste Verletzungsabsicht hat.

Nicht fair und oft heiß diskutiert ist natürlich noch die Rassezugehörigkeit und/oder Größe des Hundes. Es dürfte einleuchten, dass ein großer Hund mehr Schaden anrichten kann als ein kleiner Hund, sowohl in Bezug darauf, welche Körperteile er erreichen kann, als auch in Bezug auf die Kraft eines Bisses. Und auch Rasse spielt dort hinein, es gibt Rassen die traditionell für Aufgaben wie Enten apportieren gezüchtet wurden, andere hingegen sollen störrische Rinder von der Alm treiben oder Bären vertreiben - ergo beißt ein Labrador Retriever oder English Setter anders zu als ein Australian Shepherd oder Appenzeller. Und ein Hund der in erster Linie nach dem Schuß verletztes Wild aufspüren und zur Not auch verbeissen soll beisst weniger schnell zu als ein kleiner Erdhund, der unter Tage auf sich alleine gestellt vor einem doppelt so großen Dachs steht - auch das war erwünscht und wurde dementsprechend züchterisch manipuliert. 

Der letzte Punkt betrifft wieder den Hundehalter und die Zusammensetzung des Haushalts; leben im Hundehaushalt noch kleine Kinder, ältere Menschen oder Menschen, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind oder besondere Bedürfnisse haben? Dann ist die Prognose schlechter als in einem Haushalt, in dem nur der Hundehalter mit seinem Hund oder vielleicht noch mit einem weiteren, verantwortungsbewußten Erwachsenen lebt. Mögliche Managementlücken oder Trainingsausfälle haben in letzterem Fall einfach nicht die Tragweite, wie in einem Haushalt mit Kindern. 

Alle diese Faktoren beeinflussen letztendlich das Verletzungsrisiko für Mensch oder Artgenossen am empfangenden Ende des aggressiven Verhaltens und spielen damit eine große Rolle für die Prognose an sich und die Bereitschaft des Hundehalters, eine Therapie in Erwägung zu ziehen. 


Puh, eine Menge Faktoren, die es zu bedenken gilt!

Manchmal ist es für den Hundehalter schwer auf Anhieb zu beurteilen, was machbar ist und was nicht. Wenn das Gefahrenpotenzial dies nicht verbietet, weil der Hund als gefährlich eingestuft wurde, schlage ich daher in diesem Fall vor, einen Therapieplan für 4 Wochen auszuprobieren. In vielen Fällen ist die Durchführung leichter als gedacht, und man sieht bereits erste Erfolge. 

Warum vier Wochen? Weil auch der Mensch nachweislich mindestens 28 Tage braucht, um neue Gewohnheiten zu bilden. Man bekommt also eine Idee, ob das geplante Management so ausreicht, das Umfeld mitspielt und die Zeit zum Training ausreicht. Vielleicht findet sich eine Nachbarin, die zwischendurch mal nach dem Hund mit Trennungsangst schaut. Oder das neue Gartentor macht sich bezahlt, oder alle Familienmitglieder haben Spaß daran, mit dem Hund zu spielen um nerviges Bellen am Gartenzaun zu verhindern.

Vielleicht tut sich auch nichts, und man merkt, dass der Plan so nicht durchführbar ist, warum auch immer. Dann kann man ihn den Gegebenheiten anpassen. Der Sohn hat keine Lust mit dem Hund Begrüßung an der Tür zu üben, aber er kann dem Hund einen Ball in die Schnute schieben oder eine Handvoll Kekse auf den Boden werfen und wird dann auch nicht angesprungen und git dem Hund damit die Gelegenheit das unerwünschte Verhalten weiter zu üben. Manchmal kommt auch die traurige Erkenntnis, dass man so auf Dauer nicht leben kann oder will, und die Verbesserungen nicht ausreichend oder nachhaltig genug sind. Dann kann man aber wenigstens eine informierte Entscheidung treffen, wie es weiter gehen soll. Für sich und den Hund. 


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