Umweltgewöhnung und Sozialisierung

  • Bettina Alfaro
  • 18.04.2021
  • Welpen

Sozialisierung des Welpen ist heutzutage in aller Munde. Es scheint einfach; serviere deinem Welpen so viele neue Situationen, Menschen und Artgenossen wir möglich und er wird ein umweltsicherer, souveräner und "braver" Hund, richtig? Hm...


Zunächst mal unterscheide ich hier zwischen Sozialisierung = Kennenlernen von belebten Organismen (Hunde, Menschen, Nutzvieh, etc.) und Umweltgewöhnung = Anpassung an unbelebte Umgebung (die natürlich auch wieder Menschen, Artgenossen, etc. beinhaltet, weswegen eine saubere Trennung natürlich nicht möglich ist...)

Hier soll es aber in erster Linie um Umweltgewöhnung gehen. Vorneweg; Weniger ist mehr!! Mittlerweile bekommen wir Trainer und Verhaltensberater nämlich mehr komplett überreizte Junghunde mit Burnout in die Verhaltenstherapie, als gelangweilte und unterforderte Hunde die nichts kennen. Dazu später mehr.


Zunächst ganz einfach: Für die meisten Welpen (und Hunde) gilt, dass wiederholtes Erleben von leicht stressigen Reizen die Bedenken des Welpen hinsichtlich dieser Reize senken wird, egal ob es sich dabei um bestimmte Orte, Situationen oder belebten Reize handelt. Wenn der Welpe einem Reiz mehrfach ausgesetzt wird und nichts Schlimmes passiert, dann wird er sich irgendwann in dessen Gegenwart entspannen. Dementsprechend sieht der Hundehalter ein vermindertes Stressniveau und weniger Angst oder Unruhe in Bezug auf diesen Reiz. Dieses Prozess nennt man Gewöhnung, wenn es keine echte Angstreaktion gab, oder Desensibilisierung, wenn eine vormals stressige oder angsteinflössende Situation weniger bedrohlich wird. 

Das Gegenteil gilt aber auch; zeigt der Welpe mehr und mehr Anzeichen von Angst, Übererregung und Stress nachdem er einem Reiz mehrfach ausgesetzt wurde, dann sensibilisieren wir ihn für diesen Reiz. Und dies beobachten wir Trainer leider mehr und mehr; bei dem gut gemeinten Versuch dem Welpen die Welt zu zeigen, wird er mehr und mehr für verschiedene Reize sensibilisiert. Und was der Welpe noch mit eingezogenem Schwanz scheckstarr über sich ergehen lässt, dazu hat der 8 Monate alte Junghund bereits eine Meinung. Und dann ist das Erstaunen gross, hat man doch fleissig sozialisiert...

Bemerkt man also, das ein Welpe immer nervöser auf eine Situation oder einen Reiz reagiert, so lautet die erste Maßnahme STOPP! Hier läuft im Ansatz was falsch!


Wie macht man es denn dann richtig?

Zunächst eimal gilt es, die Reizschwelle des Welpen in Bezug auf eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Reiz zu kennen. Da sind nämlich nicht alle Hunde gleich! Genetik, Aufzucht und bisherige Erlebnisse spielen eine große Rolle. Und da muss man auch mal genauer hinschauen; der im Wohnzimmer aufgewachsene Welpe ist nicht automatisch gut geprägt, wie ein Beispiel aus der Praxis jüngst zeigte. Bei näherem Nachfragen stellte sich dann heraus, dass es gleichzeitig vier (!) Würfe der Kleinhundrasse in selbigem Wohnzimmer gab, etwa gleichaltrig, und bei einer allein stehenden Dame lebend. Diese Welpen wären noch nie aus diesem Wohnzimmer raus gekommen, lebten ein ruhiges Leben und hatten außer den Welpenbesuchern, die dann die kleinen Hunde auch gleich einpacken und mitnehmen durften keine Besucher. Garte? Fehlanzeige. Autofahrten? Nö, der Tierarzt kam zum Impfen ins Wohnzimmer. Artgenossen? Autos? Laute Geräusche? Spielende Kinder? Nichts davon. Die frisch gebackene Welpenbesitzerin war entsetzt, wie ängstlich ihr neuer Hund war, bei jedem Geräusch verschwand er schreiend und/oder zitternd unter der Küchenbank. Und schließlich steht in jedem Welpenbuch,m wenn der Hund im Wohnzimmer aufwächst, dann ist alles gut. Unter uns, ich glaube in unserem Stall ist deutlich mehr los als es in diesem Wohnzimmer war... andere Geschichte.

Dies soll auch nur ein Beispiel dafür sein, dass Mitdenken beim Welpenkauf ausdrücklich erwünscht ist! Die ad absurdum wiederholten Ratschläge sind gut gemeint, aber nicht immer passend, das Wohnzimmer ist ja nur ein Beispiel. Gerne wird auch hervorgehoben, dass ein "Hobbyzüchter" die bessere Wahl ist, möglich hat er "nur alle paar Jahre mal einen Wurf". Ach so, und man geht ja auch lieber zu einem Hobbybastler, der nur alle paar Monate mal ein Auto repariert als zu einem Mechaniker, der das regelmässig macht? Weil der sich bestimmt viel besser m mein Auto kümmert, oder was? Zumal "Hobbybastler"... ähm... Züchter ja meist die Umschreibung für "ich wollte, dass meine Hündin einmal Welpen hat" ist, oder einen "Ups-Wurf" verschleiern soll (jemand der zu blöd ist, seine Hündin angemessen vor einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen ist bestimmt super versiert, wenn es um Aufzucht geht - hatte ja schließlich 4 Wochen Zeit sich optimal vorzubereiten? Genetik und mögliche Zuchttauglichkeit der Zufallseltern mal beiseite??). 

Aber zurück zu unserer Umweltgewöhnung, wir stellen also fest, nicht alle Welpen sind gleich. Wir müssen wissen wie hoch die Stresstoleranz unseres Welpen in Bezug auf bestimmte Umweltreize ist. Die Gewöhnung daran setzt nämlich voraus, dass ein gewisses Mass an Unbehagen vorhanden ist. Zu wenig Stress, und der Welpe lernt auch nichts Neues, zu viel, und der Welpe bekommt Angst und ist überfordert. Und das wiederum sensibilisiert ihn auf diese Situation, er wird also schneller Angst zeigen, wenn sich wieder eine ähnliche Situation anbahnt, als wenn wir ihn einer solchen nie ausgesetzt hätten. Wir brauchen also ein Stresslevel, wobei der Hund etwas besorgt ist, was denn da passiert, aber nicht so überfordert, dass er richtig Angst bekommt und denkt, er ist in echter Gefahr. Und das aus Sicht des Welpen, nicht des Welpenbesitzers! Nur weil wir wissen, dass der Nachbarskind nicht gefährlich ist, sieht das unser Welpe vielleicht ganz anders. Und was wir als normale Spielgeräusche eines Dreijährigen wahrnehmen, ist für unseren Welpen vielleicht das drohende Ende der Welt. Wir wissen es nicht, aber wir können ja unseren Hund beobachten - möchte der mehr Abstand, dann ist es nicht sinnvoll ihn zu zwingen sich von dem "das tut nix" Kind streicheln zu lassen. Oder auch nur direkt daneben zu stehen. 

Jegliche Begegnung des Welpen mit Situation und Rezension muss also unterhalb deseed Reizschwelle erfolgen. Reagiert der Hund bereits ausweichend/ängstlich/abweisend, dann bin ich schon zu nah dran. Der Reiz ist zu intensiv. Passiert - man verschätzt sich eben mal. Wir wissen ja auch nicht, was wir nicht wissen ("Huch, Mülltonnen sind also potenzielle Monster?"). Aber wenn wir es sehen, dann gibt es sensibel damit umzugehen. Also erstmal den Hund aus der Situation nehmen, der "muss da nicht durch". Sonst lernt er nämlich nur eins: er hatte ja Recht, der Reiz ist doof und gefährlich, und auf Frauchen ist auch kein Verlass. Die reagiert weder auf Hilferufe, noch begreift sie was sich eigentlich abspielt. Keine gute Voraussetzung für eine gute Beziehung. 

Abgesehen von deutlichen Anzeichen für Angst wie zittern, nach hinten ausweichen, nach vorne bellen um den Reiz zu vertreiben, vokalisieren, starkem Hecheln und an der Leine zerren (nach vorne oder nach hinten!) oder ein ständig überdrehter Hud (hartes Spielweisen? Nicht zur Ruhe kommen? Viel Bellen?) kann man den Gemütszustand seines Welpen auch "erfragen", bevor es zu den vorgenannten extremeren Reaktionen kommt. 


Kann mein Welpe noch Futter aufnehmen? 

Wenn mein Welpe normalerweise gerne frisst, aber jetzt nicht in der Lage ist etwas zu nehmen, oder er nimmt es sehr hastig/rau und/oder spuckt es gleich wieder aus, dann sind wir kurz vor Stufe Rot! Wenn er einen zum Suchen ausgeworfenen Keks suchen, und sich dann sofort wieder zu uns umrichten kann, in freudiger Erwartung auf Nachschub, dann ist alles gut. Das mindeste ist ein Welpe, der 10 Leckeren am Stück nehmen kann, ohne seine Umwelt groß beachten zu müssen. Das nennt sich bei uns "Freibier". Dabei geht es nicht darum den Welpen oder Hund von der Umwelt abzulenken, sondern zu sehen ob er uns Aufmerksamkeit schenken kann, wenn wir keine weiteren Anforderungen an ihn stellen. Ausser schlucken, vielleicht.


Kann mein Welpe spielen? 

Wenn mein Welpe normalerweise mit mir spielt, Objektspiel oder persönliches Spiel (kein Ball werfen, was ja eigentlich kein Spiel ist, sondern ein Sozialspiel mit mir in meiner Nähe), und er kann das jetzt nicht, dann ist sein Sicherheitsbedürfnis oder seine Neugierde derzeit größer - auch eine Anzeige.Gilt auch für das Spiel untereinander; wenn ein normal spielfreudiger Welpe mit seinem Kumpel nicht spielen kann, weil er irgendwas in der Umwelt im Auge behalten muss, dann sagt das eitwas über diesen Umweltreiz aus.


Wenn ich meinen Welpen also verschiedenen Umweltreizen aussetzen will, dann sind kurze knackige Übungseinheiten ebenfalls meist besser al lange: der Welpe kann dann zwischendurch zur Ruhe kommen. Also nicht gleich eine Stunde durch die Fussgängerzone, sondern erst mal 10 Minuten auf dem Parkplatz rum lungern und dann wieder ins Auto - und vielleicht auch wieder nach Hause und zwei Tage später das gleiche noch mal.


Stichwort "das gleiche noch mal": die Definition von Umweltgewöhnung beinhaltet mehrfaches Aussetzen eines Reizes. Wenn sich der Welpe an was gewöhnen soll, dann muss es "gewöhnlich" auch da sein. Der einmal oder zwei Mal einem Kind ausgesetzt Welpe ist nicht an Kinder gewöhnt. Er hat zweimal Kinder gesehen. Gewöhnlich da sind die, wenn man welche in der Familie hat und mit ihnen zusammen lebt. Oder diese ständig erlebt, weil man öfters mal am Spielplatz sitzt. Und zuguckt wie die Nachbarskinder im Garten sind. Und einem beim Spaziergang begegnet. Und der Spielkumpel immer eins dabei hat. Also, die sind irgendwie überall! Und nicht nur eine Altersklasse, sondern vom Kleinkind bis zum Teenager.


An der Stelle dürfte auch klar werden, dass es den perfekt Umweltgewöhnten Hund nicht gibt - kein Züchter, Welpenbesitzer oder Trainer kann einem Hund allen möglichen Situationen aussetzen, denen dieser im Leben mal begegnet. Die Idee ist auch mehr, dass der Welpe lernt, sich mit neuen Situationen auseinander zu setzen, und damit Lösungsstrategien entwickelt. Aber es macht im Hinblick darauf natürlich auch Sinn, sich bei der Auswahl des Hundes schon mal zu überlegen, aus welchen Umständen dieser kommt (je ähnlicher dem neuen Leben, desto einfacher die Gewöhnung). Der Stadtmensch hat wenig von einem auf dem Hof und perfekt ans ländliche Leben gewöhnten Landei. Und der Kulturschock, den so mancher Auslandshund von der Strasse hier erfährt ist noch mal ein ganz anderes Kapitel. Und auch wenn der Welpe dann da ist macht es Sinn, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die zu seinem Alltag gehören werden. Zu meinem Welpenprogramm gehört das Strassenbahn oder Bus fahren nicht - ich wohne auf dem Land, so was haben wir hier nicht! Die Chance, dass meine Hunde jemals öffentliche Verkehrsmittel benutzen werden ist gering! Meine Hunde sehen aber jeden Tag Nutzvieh. Traktoren. Hören Schüsse im Wald. Haben Nachbarn mit spielenden Kindern auf Strasse und im Garten, etc. Wähle deine Schlacht...


Und damit sind wir wieder am Anfang; weniger ist manchmal mehr. Wenn ich meinen Welpen immer wieder dosiert Situationen aussetze, dann muss ich danach auch dafür sorgen, dass er die nötige Ruhe hat diese Eindrücke auch zu verarbeiten. Womit wir dann schon wieder bei einem anderen Thema sind: dem Schlaf- und Ruhebedürfnis eines Welpen. Oder dem Bewegungsbedürfnis eines Welpen


Umweltgewöhnung und Sozialisierung ist natürlich auch ein großer Bestandteil einer guten Welpenstunde, den auch bei gut gemeinten aber schlecht geführten Welpenspielstunden kommt es sonst schnell zur oben genannten Sensibiliserung auf andere Hunde, statt der gewünschten Gewöhnung. Was die Erklärung für die vielen überforderten und "aggressiv" reagierenden Hunde sind, die trotz (oder wegen) der Teilnahme an einer Welpenspielgruppe herum laufen. Hier handelt es sich nämlich auch selten um echte Aggression, sondern pure Angst, Reizüberflutung und Überforderung. 





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